Was immer geht, wenn nichts mehr geht... (und sonst übrigens auch!)

von Livia Sold

Wie sind wir eigentlich hier hineingeraten? Keine Ahnung. Es kam über uns. Corona.

Manche von uns sind betroffen. Verlust von Einkommen, Sicherheiten, Zukunftsplänen, und vielleicht sogar geliebten Menschen. Andere sind weniger direkt betroffen. Vielleicht ist es am ehesten ein Gefühl von Unsicherheit und Ohnmacht, das uns alle verbindet.

Was wir tun können, ist beten. Das können wir wirklich tun. Wir glauben daran und vertrauen darauf, dass es der hört, der alles Leben gemacht hat und es ansah und sah, dass es gut war.

Beten ist nicht „Nichts“. Beten ist…



… Gebete sprechen.

Beten mit vorgegebenen Worten - viele Religionen kennen das. Für uns Christen ist das „Vater unser“ das Gebet, das uns in der ganzen Welt und in vielen Sprachen verbindet. Wären wir irgendwo, wo wir kein Wort verstehen, würden wir sicher in einem Gottesdienst erkennen, wenn das Vater unser gebetet wird und könnten es in unserer Sprache mitbeten. Jesus selbst hat den Jüngern die Worte dafür beigebracht, als sie ihn baten, ihnen zu sagen, wie sie beten sollen.

Beten mit vorgegebenen Worten verbindet uns miteinander. Nicht nur beim Vater unser. Es gibt auch die Möglichkeit, sich an Gott zu wenden, wenn sonst die Worte fehlen, vielleicht in schweren Situationen. Vielleicht, wenn wir zweifeln und die Frage im Raum steht, ob wir Gott überhaupt noch etwas zu sagen haben. Wenn die vertraute Form Kraft gibt oder ein Rückzugsort ist, wenn wir am Ende unserer Kräfte sind.

… eine Denkpause.

Meditatives Gebet kennen ebenfalls viele Religionen. Über die Wiederholung von immer wieder gleichen Worten treten wir aus dem Alltag, aus unserer Umgebung, und können „Eintauchen in eine andere Welt“. Das Denken tritt in den Hintergrund.

Ein Beispiel für meditatives Beten ist der Rosenkranz. Worte und Form sind vorgegeben, es gibt verschiedene Varianten - das Gotteslob gibt eine Einführung und Anleitung und der Rosenkranz, diesmal ist die Perlenkette mit dem Kreuz dran gemeint, nicht die Gebete, führt durch den Ablauf.

Für wen der Rosenkranz eher nichts ist, für den gibt andere Möglichkeiten. Meditatives Beten mit wenigen und einfachen Worten. Oder ganz ohne Worte: Kontemplatives Gebet. Meditation. Eine Zeit der Einkehr im Alltag. Selbst oder gerade wenn der Alltag „Krise“ heißt.

… zur Ruhe kommen.

Sich zu Gott setzen, ohne Worte. Nur bewusst seine Nähe suchen und bei ihm sein, Zeit mit Gott verbringen.

… Gemeinschaft.

Gemeinsames Beten schafft Verbindung, wir sind nicht allein. In unserer Pfarrei haben sich Menschen verabredet, zu festgesetzten Zeiten zu beten. Jeder für sich und doch gemeinsam.

Vielen von uns fehlt der gemeinsame Gottesdienst. Dort findet sich gemeinsames Gebet in verschiedenen Formen, z.B. im eucharistischen Hochgebet, wenn Priester und Gemeinde abwechselnd Gebetsworte sprechen. Und kürzlich schrieben wir hier über die Fürbitten als dialogische Gebetsform.

Litaneien, wie z.B. die Heiligenlitanei an Allerheiligen, finden sich in besonderen Gottesdiensten. Auch die Psalmen kennen abwechselnde Textteile. Manchmal wird der Text in Abschnitte geteilt und im Wechsel gesprochen, manchmal gibt es einen Vorbeter und die Mitbeter antworten mit einem Kehrvers.

Gemeinsames Beten ist auch heute möglich. Verbunden über Telefon, Email, Videokonferenz - oder einfach im gemeinsamen Tun, jeder an seinem Ort und in seiner Form.

… Bewegung.

Ein Kreuzzeichen zu Beginn und zum Ende macht die Zeit dazwischen zu einer besonderen Zeit. Die Hände falten. Den Körper einzubeziehen, macht einen Unterschied. Gebetshaltungen - Stehen, Sitzen, Knien… in welcher Körperhaltung wir uns befinden, verändert auch etwas an unserer inneren Haltung. Konzentration und Aufmerksamkeit, Ehre und Respekt, Demut, Hingabe und Bedürftigkeit - all das und noch viel mehr können wir mit unserem Körper ausdrücken und dadurch intensiver spüren.

Gebetshaltungen wie erhobene Arme, geöffnete Hände, Verbeugungen, Knien finden sich in vielen, teilweise sehr alten Abbildungen ritueller Handlungen. Den Körper für das Gespräch mit höheren Mächten einzusetzen, ist offenbar etwas tief im Menschen Enthaltenes, eine ursprüngliche menschliche Ausdrucksform.

… Musik.

Musik und Gebet, das ist nicht zu trennen. Ganz geklärt ist die Herkunft des Ausspruchs „Wer singt, betet doppelt.“ nicht. Aber ob er nun dem heiligen Augustinus oder Martin Luther zugeschrieben wird oder seine Herkunft offen bleibt - er zeigt die Bedeutung von Musik und Gesang als eine Form, Gott anzusprechen, ihn zu feiern oder von ihm zu erzählen.

Hagioslieder tragen den „Untertitel“ gesungenes Gebet. Mit kurzen Texten und einladenden Melodien bilden sie so etwas wie eine Brücke zum meditativen Gebet und finden viel Anklang in der Pfarrei - hoffentlich bald wieder auch in gemeinsamen Gottesdiensten.

Aber auch die vielen anderen Lieder, die wir im Gottesdienst oder zu anderen Anlässen singen, zu denen wir uns als Christen treffen, sind ein Gespräch mit Gott. Von Gemeindegesang mit Orgel bis zum Gospel gibt es eine große Vielfalt an Ausdrucksformen und es gibt kein Thema, zu dem nicht ein Lied geschrieben worden wäre. Und es kommen immer wieder noch neue dazu.

Wer singt, betet doppelt. Es kommt nicht darauf an, dass jeder Ton stimmt.

… persönlicher Kontakt mit Gott.

Unser Bischof Georg Bätzing hat für die gerade laufende Fastenzeit eine „Anleitung zum Beten“ geschrieben; es lohnt sich sehr, sie zu lesen. Unter anderem schreibt er darin: „Dass ein Christ, eine Christin betet, ist genauso einsichtig, wie wenn ein Pianist Klavier spielt oder ein Maler an die Staffelei tritt.“

Es gibt mindestens so viele Möglichkeiten und Formen dafür, wie es Menschen gibt. Mit Gott in Kontakt zu treten, ist immer möglich. Er hört uns, auch ohne Worte und Formvorschriften.

Mein persönliches Gefühl

Ich rede nicht gerne über´s Beten.

Wenn Menschen davon erzählen, dass und wie sie beten, denke ich: "Oh je, das mache ich alles nicht, das kann ich nicht, dabei sollte ich doch und ich weiß ja schließlich..."

Ich bin froh, dass es so schön akzeptiert ist, dass Beten was Privates ist. Ob ich bete oder nur da sitze, z.B. im Gottesdienst, das weiß keiner. Es weiß auch keiner, ob ich grade nur mit der S-Bahn fahre oder bete, oder im Garten umgrabe oder bete oder die Wäsche aufhänge oder bete. Und das ist sehr gut so.

Das ist vielleicht noch eine Anregung für alle... wenn Menschen grade sehr vertieft oder leicht abwesend sind - nur vorsichtig ansprechen, denn vielleicht beten sie gerade. Nein, hier kommt kein Smilie hin.