Liturgie ist international - zum Beispiel: Syro-Malabarisch

von Livia Sold

Im Rhein-Main-Gebiet, wo viele Kulturen zusammenkommen, müssen wir gar nicht weit gehen, um der Weltkirche zu begegnen.

In Frankfurt gibt es in Preungesheim eine syro-malabarische Gemeinde. 200-300 Menschen kommen dort an Hochfesten wie Weihnachten oder Ostern zusammen.

Diese Gemeinde war auch die erste Station von Pfarrer Xavier Manickathan in Deutschland, der im Seelsorge-Team unserer Pfarrei St. Ursula Oberursel und Steinbach, als priesterlicher Mitarbeiter tätig ist. Er war so freundlich, mir einen Einblick in die Besonderheiten der Liturgie in seiner Heimat Kerala in Indien zu geben. Dort gibt es verschiedene christliche Gruppierungen. Eine davon, der Pfarrer Xavier angehört, feiert die heilige Messe nach dem syro-malabarischen Ritus.



Syro-malabarisch“ - was ist denn das?

Syro-malabarisch… klingt wie eine Eissorte, ist aber ein Teil der katholischen Kirche. Die ist gar nicht so einheitlich, wie es auf den ersten Blick scheint. Und überhaupt, warum denn „syro“? Pfarrer Xavier kommt doch aus Indien?

Genauer gesagt kommt er aus dem indischen Bundesstaat Kerala. Kerala ist also innerhalb von Indien so etwas wie Hessen innerhalb von Deutschland. Und Kerala ist für die syro-malabarischen Christen das, was für römisch-katholische Christen Rom ist, nämlich ihr religiöses Zentrum. Die syro-malabarischen Christen erkennen aber den („unseren“) Papst als Kirchenoberhaupt an und das macht ihre religiöse Gruppierung zu einer sogenannten „unierten Kirche“, d.h. sie bilden eine Einheit mit der katholischen Kirche. Katholisch heißt ja übersetzt „weltumspannend“ - und hier kann man sehen, wie es gemeint ist. Nicht: "Alles ist überall gleich.“, sondern: "Wir gehören zusammen; der Glaube, dass Jesus der Sohn Gottes und der von den Propheten angekündigte Erlöser ist, verbindet uns."

Christen in Indien - ich dachte, dort gibt es nur Buddhisten und Hindus?

Die syrischen Christen in Indien berufen sich auf den Apostel Thomas, der die Botschaft von Jesus nach Syrien brachte. Von dort kam das Christentum das erste Mal nach Indien. Malabar war früher der Name des Bundesstaates Kerala, heute wird nur noch der nördliche Teil des Gebiets von Kerala so genannt. „Syro-malabarisch“ bezeichnet also die Quelle und das Kerngebiet der religiösen Gruppe. Für die syro-malabarischen Christen ist es wichtig, dass sie nicht etwa „indische Christen“ sind, sondern „syrische“, weil dort die Wurzeln ihres Glaubens liegen.

Christen sind eine religiöse Minderheit in Indien. Nur 2,3% der Inder sind christlich und die syro-malabarischen Christen sind nur ein Teil davon. Wer sich für weitere Informationen über die Geschichte des christlichen Glaubens in Indien interessiert, der wird auf eine Menge finden. Hier soll erzählt werden, was dort nicht steht.

Was unterscheidet den syro-malabarischen vom römisch-katholischen Ritus?

Die syrischen Wurzeln drücken sich nicht nur im Namen sondern auch in wichtigen liturgischen Elementen aus. Früher wurde die Messe auf Syrisch gefeiert - das erinnert doch irgendwie daran, dass bei uns die Messe früher auf Latein gehalten wurden… aber auch in Indien wird reformiert und heute werden nur noch Teile des Hochgebets oder einzelne Begriffe in syrischer Sprache verwendet. So heißt die Heilige Messe zum Beispiel„Qurbana“, was ein syrisches Wort ist und wörtlich übersetzt „Heiliges Opfer“ heißt.

Vieles in der Liturgie, was uns als Christen verbindet, spiegelt die jeweils kulturellen Eigenheiten. Während das bei uns übliche lateinische Kreuz eine sehr übersichtliche Form hat, hat das Kreuz der Thomas-Christen viele Verzierungen.

Der syro-malabarische Ritus kennt nur zwei liturgische Farben, aber die haben es in sich: Gold/Bunt wird für die normalen und die Festtage verwendet. Abweichend farbige Kleidung gibt es nur für Trauer- und Gedenkgottesdienste. Da ist die liturgische Farbe violett. Im lateinischen Ritus kennen wir für solche Anlässe ja schwarz _oder_ violett - hier zeigt sich also eine Nähe zu unserer Liturgie. Überhaupt ist die Kleidung der Priester prachtvoll, geradezu königlich… eine anlassbezogene Differenzierung erfolgt so eher über die Qualität des Gewands als über die Farbe.

Die Kleidung zeigt den Rang der Priester in der Gemeinde. Hierarchie hat noch eine große Bedeutung, es ist durchaus von Machtpositionen zu sprechen. In Deutschland war Pfarrer Xavier überrascht, wie liberal die Gemeinden und wie flach die Hierarchien hier sind. Er findet es gut, dass christliches Leben hier auf dem Engagement vieler Menschen aufbaut. Bei den syro-malabarischen Christen gibt es auch einen Pfarrgemeinderat und einen Verwaltungsrat, so wie bei uns, aber die Meinung der Priester wird selten in Frage gestellt.

Wie ist das Leben in Kerala so? Was ist anders als in Deutschland?

Pfarrer Xavier findet, dass in Deutschland die ganze Gesellschaft sehr christlich geprägt ist und meint, dass nahezu jeder hier sozialisierte Mensch eine christliche Lebensweise hat. Dass unsere Gesetzgebung einen Großteil der 10 Gebote einschließt, das erscheint uns ganz normal - offenbar ist das nicht überall auf der Welt so. Christliches, also zum Beispiel von Nächstenliebe geprägtes Verhalten, ist in Indien wohl nicht so selbstverständlich, wie es Pfarrer Xavier bei uns zumindest aus seiner Sicht erscheint.

Dafür, und das ist bei Minderheiten ja oft so, ist der Zusammenhalt und die Gruppenidentität der syrischen Christen in Indien umso stärker. Die Teilnahme am Gottesdienst ist eine Frage der Ehre, wer nicht kommt, hat einen schlechten Ruf. Gemeindemitglieder helfen einander - dass Pfarrer Xavier das so betont, zeigt, dass Nachbarschaftshilfe oder Bürgervereine in Indien offenbar nicht so verbreitet sind. Dort müssen andere Strukturen greifen, wenn Not am Mann (oder der Frau) ist und das funktioniert sehr gut innerhalb der christlichen Gemeinden.

In unserer Gemeinde St. Ursula findet Pfarrer Xavier gut, dass es so viele Menschen gibt, die beauftragt sind und Verantwortung übernehmen, v.a. als Gemeindeleitung, Wortgottesdienstteam, Visionsteam, aber auch als Kommunionhelfer, Lektoren, Mitgestaltende… Es gibt viele Aufgaben und Mitwirkende.

Ihm gefällt, dass in St. Ursula jeder in der Gemeinde Platz hat, jeder auf seine Weise, alles ist gut, Vielfalt ist gut. Als er vor 11 Jahren nach Deutschland kam, war es erstmal eine große Umstellung. Priester haben in Kerala eine ganz andere Rolle als in unseren Gemeinden. Am Anfang fiel es ihm nicht leicht, sich in der neuen Situation zurechtzufinden. Kinder im Gottesdienst müssen still sein, so wie hier, wo Kinder auch mal herumlaufen oder Bücher anschauen oder sogar mal reden (!), ist es in Kerala undenkbar. Er selbst wurde in Indien sehr streng erzogen. Hier in Deutschland ist alles viel liberaler. Das findet er gut, auch wenn der Weg zu mehr Freiheit für ihn nicht einfach war.

Er war es gewohnt, dass 300 Menschen zum Gottesdienst kommen. Hier sind es auch mal nur 30 oder noch weniger, vor allem werktags. Es hat Zeit gebraucht, bis er aufhörte, in Zahlen zu denken und heute freut er sich einfach über jeden, der da ist und sieht es kritisch, dass die Priester in Indien so viel Macht haben.

Dafür bekommt er in Deutschland schonmal gesagt, wenn er aus der Sicht eines Gottesdienstteilnehmers einen Fehler gemacht oder ein Gebet falsch gesprochen hat. Das ist schon manchmal ein bisschen seltsam, aber ist ja gut gemeint. Deshalb: Danke :-)

Gibt es in Kerala auch jeden Sonntag einen Gottesdienst? Und was ist da anders als bei uns?

In der Gemeinde in Kerala, in der Pfarrer Xavier seine Kaplanzeit verbrachte, findet nicht nur sonntags ein Gottesdienst statt, sondern _jeden_ Tag. Und oft sind es sogar zwei.

Sonntags gibt es drei Gottesdienste. 300-400 Leute kommen zu -jedem- Gottesdienst und anschließend findet für die Kinder und Jugendlichen Religionsunterricht statt. 700-800 Kinder und Jugendliche kommen jeden Sonntag zusammen. Echte Massenveranstaltungen - Woche für Woche.

Entsprechend brauchen Kirchengebäude viel Platz. Alle sitzen auf dem Boden, sehr eng beeinander, Frauen und Männer getrennt. In den großen Städten gibt es in Kirchen aber auch Bänke und Paare dürfen zusammen sitzen.

Im Ablauf des Gottesdienstes finden sich viele dialogische Elemente, also Wechselgesänge und Gebete, die in Abschnitten abwechselnd vom Priester und der Gemeinde gesprochen werden. „Glaubt ihr…“ - „Ich glaube…“, "Widersagt ihr…“ - „Ich widersage…“: Bei uns gibt es das nur in besonderen Gottesdiensten wie zum Beispiel bei einer Taufe, im syro-malabarischen Ritus kommen solche Frage-Antwort-Elemente ganz oft selbstverständlich vor.

Die Messdiener sind Vermittler zwischen Gemeinde und Priester, lesen Texte vor oder geben liturgische Hinweise an die Gemeinde („...bereiten wir uns vor auf…"). Weihrauch gibt es auch mehr als bei uns.

Und gibt es auch Brot und Wein zur Kommunion?

Bei der Eucharistie gibt es Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Einen Tabernakel gibt es zum Beispiel auch bei den syro-malabarischen Christen. Aber der Altar zum Beispiel wird als das Grab Christi gesehen - bei uns hat er die Bedeutung eines Opfertischs. Wenn die Gaben bereitet sind, werden Sie mit einem Tuch abgedeckt. Erst später wird das Tuch in mehreren Schritten wieder abgenommen, als Symbol für die Auferstehung.

Erst seit ungefähr 10 Jahren gibt es Kommunionhelfer. Es gehen nicht so viele Gottesdienstbesucher zur Kommunion wie bei uns. Es werden Hostien ausgeteilt, im Prinzip wie bei uns, obwohl Brot in Indien eine viel geringere Rolle in der Ernährung spielt als bei uns. Wenn es im Vaterunser heißt: „Gib uns unser täglich Brot“, das passt eigentlich gar nicht für die Menschen in Indien. Treffender wäre, wenn es hieße: „Gib uns unseren täglichen Reis.“ ;-)

Ähnliche „Übersetzungsschwierigkeiten“ wie beim Brot gibt es auch beim Wein. Alkohol ist eigentlich verboten. Aber es gibt doch Messwein. Allerdings ist es Süßwein, eher Traubensaft als Wein, also fast ohne Alkohol. Alkohol ist eigentlich verpönt, hat einen schlechten Ruf und ist für einen ordentlichen syro-malabarischen Christen wirklich nur im religiösen Ritus akzeptabel.

Welche Rolle spielt der Glaube im täglichen Leben?

Die Sonntage sind für die syrischen Christen ein wichtiges Gemeinschaftserlebnis. Zu besonderen Anlässen, zum Beispiel zum Pfarrfest, wird zusammen gekocht und gegessen. An Gründonnerstag gibt es ein besonderes Brot.

Insgesamt wirkt die Religion in das tägliche Leben und in wichtige Lebensentscheidungen viel stärker hinein als das (zumindest in meinem Lebensumfeld) bei uns heute üblich ist. Es klingt für mich ein bisschen nach „alten Zeiten“, wenn Pfarrer Xavier berichtet, dass es arrangierte Ehen und lebenslaufprägende Regeln gibt, wie zum Beispiel dass der jüngste Sohn für die Versorgung der Eltern zuständig ist.

Einen Sohn zu bekommen ist entsprechend auch sehr wichtig für syro-malabarische Christen. Seine Rolle ist schon bei der Geburt klar - es sei denn, es kommt später noch ein Bruder dazu. Bei Pfarrer Xavier war das so und er ist seinem Bruder sehr dankbar, dass er ihm quasi ermöglicht hat, Priester zu werden und den Weg zu gehen, auf dem wir heute mit ihm zusammen unterwegs sind.

Wenn er in seiner Heimat ist, weiß immer gleich jeder, dass er da ist, und es wird erwartet, dass er jeden Tag um 5.45 Uhr oder 6.30 Uhr im Gottesdienst ist... sonst wird gleich nachgefragt, ob er krank wäre.

Mein persönliches Gefühl zu meinem Gespräch mit Pfarrer Xavier

Was man doch entdeckt, wenn man den Blick mal über den Tellerrand hinaus bekommt. Und es ist so leicht - wir bekommen hier in Steinbach und dem Frankfurter Raum die Welt auf dem Silbertablett serviert. Es muss uns nicht alles schmecken, was da auf den Tisch kommt, aber das hier, das ist doch wirklich ein Hochgenuss.

Pfarrer Xaviers Bericht aus seiner Heimat und seinen Blick auf uns finde ich sehr bereichernd. Manches, was er erzählt, erinnert mich an Zeiten und Gepflogenheiten, die zumindest für mich weit hinter mir liegen.

Seine Freude über und geradezu Bewunderung für unsere offene und von christlichen Werten geprägte Gesellschaft in Deutschland, lässt mich verstummen, weil ich daran denke, was bei uns alles eben nicht so gut ist und wie wenig christlich mir so manches bei uns vorkommt. Zusammenhalt, Hilfsbereitschaft, Toleranz - ja das gibt es bei uns. Aber es gibt auch Ausgrenzung, Egoismus und Intoleranz. Und Angst, eigene Privilegien aufgeben oder unseren Wohlstand teilen zu sollen. Oft genug wird es ja schon schwierig, wenn es darum geht, auch nur die eigene Sicht einmal zu hinterfragen.

Da gibt es nur eins: Eben nicht verstummen, sondern sich dafür einsetzen, dass es bei uns wirklich so ist, wie Pfarrer Xavier uns sieht.

Nach dem Gespräch mit Pfarrer Xavier fühle ich mich ihm und sogar den syro-malabarischen Mit-Christen gleich ein bisschen näher. Reden hilft. Eigentlich immer.

Und übrigens...

Pfarrer Xavier hat bereits drei Mal in unserer Pfarrei einen Gottesdienst nach syro-malabarischem Ritus gefeiert, zuletzt im November 2019. Mit anschließendem gemeinsamem Essen, ganz wie in Kerala, nur nicht so scharf ;-) Und für eine nach seinen Maßstäben wohl sehr überschaubare Runde von nur 100 Menschen.

Ich finde es eine großartige Aktion. Vielleicht wollen Sie beim nächsten Mal dabei sein?

Das Bild hier zeigt Pfarrer Xavier mittendrin beim Gottesdienst nach syro-malabrischem Ritus in St. Crutzen. Schöner könnte man die sehr schlicht gehaltene und von Sichtbeton geprägte Kirche in Weißkirchen nicht erhellen, oder?